Freiburg-Hochdorf

 

Interview mit dem Wirtschaftswissenschaftler Lothar Weisser

Veröffentlicht in Interview

In Vorbereitung der Veranstaltung mit dem Titel:

„Die Rolle der Freiburger Nationalökonomen beim Untergang der Weimarer Republik."

hat der Vorsitzende des SPD-Ortsvereins Freiburg-Hochdorf, Dr. Heinz Joseph, den Referenten Prof. Dr. Lothar Weisser interviewt.

Dr. Joseph: Herr Professor Weisser können Sie unseren Lesern kurz ihr berufliches Umfeld schildern und was Sie zur Formulierung des Themas „Die Rolle der Freiburger Nationalökonomen beim Untergang der Weimarer Republik. – Hätten sie Hitler verhindern können?“ geführt hat?

Prof. Weisser: Nachdem ich als Leiter der Fachrichtung Banken und Bauspar­kassen an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg ausgeschieden bin (Pensionierung), habe ich die Bücher geschrieben, die ich schon immer schrei­ben wollte. Neben Themen zur finanziellen Lebensplanung sind es wirtschafts­historische Fragestellungen. Auf das Thema über den Untergang der Weimarer Republik bin ich gekommen, weil in der wissenschaftlichen Literatur die eigentliche Ursache, nämlich die wirtschaftliche Misere der damaligen Zeit, zu kurz kommt und oft nur oberflächlich abgehandelt wird. Dabei war die Wirtschaft schon immer unser Schicksal! So waren es in der Endphase der Weimarer Republik vor allem die falschen wirtschaftspolitischen Konzepte, die man so lange durchhielt, bis das Volk komplett verelendete und im Rechts­radikalismus die Hoffnung für eine bessere Zukunft zu finden glaubte.

J. Welche Parallelen sehen Sie in der politischen und wirtschaftlichen Entwick­lung der heutigen Bundesrepublik und dem Ende des ersten Weltkriegs und der daran anschließenden „Weimarer Republik“?

W. Der Ruf nach einem starken Mann bzw. Staat wird wohl nie ganz verstum­men, insbesondere dann nicht, wenn es den Menschen schlecht geht und sie mit sinkenden Einkommen und dem Verlust an Arbeitsplätzen konfrontiert wer­den. Was damals die Alternative für Deutschland war, nämlich die Rechtsdik­tatur der Nationalsozialisten, bedeutete am Ende 60 Millionen Tote und die Verwüstungen weiter Teile Europas. Dies sollte eigentlich Warnung genug sein. Wer sich mit Weimar beschäftigt und dies mit der aktuellen Lage in der Bun­desrepublik vergleicht, wird nicht umhinkommen festzustellen, dass letztlich alles schon mal da war. Der gleiche politische Grundansatz, die teilweise glei­chen Parolen, die gleiche Art, die Menschen hinters Licht zu führen und sie über die wahren Absichten zu täuschen - all dies hat auch heute schon wieder Konjunktur. Und sollte es bei uns wirtschaftlich bergab gehen, dann dürfte eine Wiederholung der damaligen Ereignisse nicht mehr eine bloße Utopie sein. Das Volk wird es dann wieder ausbaden müssen, die Reichen dagegen werden ihre Schäfchen längst ins Trockene gebracht haben. So wie 1931, als es zu einem Run auf die Banken kam, aber nicht nur wegen der gekündigten kurzfristigen Auslandsgelder, sondern auch – in der wissenschaftlichen Literatur kaum erwähnt – infolge der massenhaften Kapitalflucht ins Ausland. Dies war die Antwort der wohlhabenden Elite auf die Gefahr eines drohenden Umsturzes, obwohl gerade sie es waren, die viele Sympathien für die Nationalsozialisten hegten.

J. Abstrakte volkswirtschaftliche Zahlen fanden und finden Eingang in wirt­schaftspolitische Wertvorstellungen. Diese Wertvorstellungen wiederum sind mit Namen der damaligen und heutigen führenden Volkswirtschaftler und Poli­tiker verbunden. Welche Namen sind dies und welche staatstheoretischen Lehren werden damit verknüpft?

W. Eine der Ursachen für das Scheitern der Weimarer Republik war, dass die Demokratie in weiten Kreisen des gehobenen Bürgertums auf erhebliche Vor­behalte stieß. Ein Beispiel ist der Freiburger Nationalökonom Walter Eucken, der in seiner Schrift „Strukturwandlungen des Kapitalismus“ unverkennbar rückwärtsgerichtete Ansichten vertrat. Dabei bezog er sich auf den später berüchtigten NS-Ideologen Carl Schmitt sowie auf Ortega y Gasset, der kurz zuvor die Gefahr eines Untergangs des Abendlandes durch den Aufstand der Massen beschwor. So waren auch für Eucken alle, die nicht zur geistigen oder finanziellen Elite gehörten, einfach nur die „Masse“. Außerdem forderte Eucken im Frühjahr 1932 den „starken Staat“, der sich durch den großen Wahlerfolg der Nationalsozialisten im Herbst 1930 bereits abzeichnete. Die genannte Schrift von Eucken kann als Startpunkt des Neoliberalismus gewertet werden.

J. Gibt es deutsche Volkswirtschaftler, die mit als Geburtshelfer des Neo­liberalismus bezeichnet werden können und welche politische Haltung nahmen sie gegenüber der „Weimarer Republik“ ein?

W. Die nationalökonomischen Fachkollegen an der Universität Freiburg stan­den Eucken nicht viel nach. Auch sie vertraten rückwärtsgewandte Ansichten, die darin bestanden, jede Änderung der Wirtschaftspolitik abzulehnen. Für sie bestand die Lösung in erster Linie in dem, was die Regierung Brüning bereits in die Tat umsetzte, nämlich in immer weitergehenden Kürzungen der Löhne und staatlicher Ausgaben. Sie versprachen sich dadurch eine Steigerung der Ren­tabilität der Unternehmen, was nach ihrer Ansicht automatisch zu mehr Be­schäftigung führen würde. Hier tat sich Adolf Lampe besonders hervor, der von seinen theoretischen Vorstellungen - selbst noch 1933 nach der sog. „Macht­ergreifung“ Hitlers - nicht davon abrückte. Hitler bedankte sich im Übrigen für die Konzepte, die die sog. „Reformer“ zur Rettung der Republik vertraten, indem er sie übernahm und in kurzer Zeit umsetzte. Nicht zuletzt waren dies auch die bereits detailliert vorliegenden Pläne für den Bau der Autobahnen.

Kann also überspitzt gesagt werden, dass Walter Eucken und die Wissen­schaftler und Kollegen um ihn als Steigbügelhalter des Nationalsozialismus gelten können?

W. Im Prinzip waren sie es, wenn sie auch nicht unbedingt das so gewollt haben, wie es dann kam. Dass die nationalökonomische Wissenschaft einen Einfluss auf die Regierung Brüning hatte, ist unbestritten. Und Brüning konnte seine Verarmungsstrategie auch deshalb so lange durchhalten, weil er sich prinzipiell der Zustimmung führender Nationalökonomen sicher war. Eucken ging sogar noch über die liberal-orthodoxen Ansichten der klassischen Lehre hinaus, in dem er den Staat ermunterte, die Krise ausbrennen zu lassen und weitere Lohnkürzungen vorzunehmen.

Natürlich gab es auch andere Faktoren, die für den Untergang der Republik von Weimar bedeutsam waren, so die politischen und wirtschaftlichen Nach­wirkungen des Ersten Weltkrieges und die falsche Geld- und Zollpolitik der USA.

J. Wie erklären Sie die hohe Verehrung, die Walter Eucken entgegengebracht wird, und dass das Freiburger Institut, das seinen Namen trägt, zum Pilgerort bundesdeutscher Politiker geworden ist?

W. Dass fast die ganze politische Führungselite regelmäßig in Freiburg auf­kreuzt, hat in erster Linie etwas mit dem geschickten Marketing des Walter-Eucken-Instituts und der Hayek-Gesellschaft zu tun. Und die Statements, die dort abgegeben werden, zumindest was die Rolle Euckens und Hayeks angeht, sind die Einflüsterungen dieser Institutionen. Dies ging so weit, dass selbst Sigmar Gabriel Eucken als Freund der Gewerkschaften apostrophierte, was eine absolute Verdrehung der geschichtlichen Wahrheit ist. Außerdem, ob die ordoliberalen Vorstellungen eines Walter Eucken direkt nach Ende des Zweiten Weltkrieges einen so großen theoretischen Einfluss gehabt haben, wie immer behauptet wird, ist so sicher nicht. Sicher ist jedoch, dass nach Ausbruch des „Kalten Krieges“ (1947) die Alliierten niemals einer Planwirtschaft à la Sowjet­union zugestimmt hätten. Die radikal-marktwirtschaftlichen Vorstellungen Eu­ckens wurden allerdings weder damals noch später in die Wirklichkeit um­gesetzt. Sie dienen aber als eine Art Referenz für die neoliberalen Tendenzen, die sich spätestens Ende der 1970-er Jahre durchsetzten (Thatcherismus, Rea­ganomics) und in wirtschaftlicher Sicht sowohl dem Staat als auch der Zentral­bank weitgehend nur noch die Rolle eines Zuschauers zubilligten.

J. Welche historischen und gegenwärtigen Parallelentwicklungen sehen Sie zwischen der Weimarer Republik und der Bundesrepublik sowohl im wirtschaft­lichen als auch politischen Umfeld?

W. Was die Regierungen dieser Welt aus Weimar in jedem Fall gelernt haben, war die Notwendigkeit, Krisenmanagement zu betreiben, was insbesondere 2008/2009 zur Rettung von großen Banken führte. Dass dies mit einer im­mensen Staatsverschuldung einherging, war die Kehrseite der Medaille. Auch dabei haben die Nationalökonomen weitgehend versagt, da sie die Gefahren, die mit der modernen Finanzmarktarchitektur mit ihren oft volkswirtschaftlich sinnlosen Finanzderivaten verbunden sind, in keiner Weise gesehen haben und teilweise immer noch nicht sehen. Wir leiden immer noch unter den Folgen dieser Finanzkrise, die fälschlicherweise oft als Euro- oder Staatsschuldenkrise bezeichnet wird.

J. Gibt es einen Ausweg mittels der Erkenntnisse um den historischen Weg der Weimarer Republik, die sich abzeichnende gegenwärtige Krise der Demokratie zu verhindern, und welche Handlungsstränge müssten zwingend angelegt werden?

W. Letztlich ist alles eine Frage der Bildung, d.h. des geschichtlichen Wissens, was rechtspopulistische bzw. rechtsradikale Ansichten für Terror, Tod und Ver­nichtung  angerichtet haben. Und wie gefährlich es ist, in wirtschaftlichen Krisen die Dinge laufen zu lassen und nicht rechtzeitig zu intervenieren. Ein fatalistisches „laufen oder ausbrennen lassen“ von Konjunkturabschwüngen, die über ein bestimmtes Maß hinausgehen, kann nicht die Lösung sein. Die neoliberale Vorstellung einer strikten Trennung von Wirtschaft, Gesellschaft und Politik ist kein vernünftiger Lösungsansatz. Denn der Bürger macht im Zweifel nicht die Wirtschaft, sondern den Staat dafür verantwortlich, wenn es nicht läuft – man denke an den US-Wahlkampf, in dem Trump versprach, den Abbau von Arbeitsplätzen zu stoppen und die Folgen internationaler Arbeits­teilung rückgängig zu machen.

J. Sie werden im Rahmen der SOKOV (Sozialdemokratische Kommunale Vor­tragsreihe Hochdorf) einen Vortrag halten und die vorgeschilderten Vorstellun­gen vertieft erläutern. Wie lautet der Titel und wann wird dieser Vortrag stattfin­den?

Prof. Weisser: Der Titel lautet:Über die Rolle der Freiburger Nationalöko­nomen beim Untergang der Weimarer Republik. - Hätten sie Hitler verhindern können?" - Termin ist Donnerstag, der 26. Januar 2017.

Dr. Joseph: Herr Professor Weisser, wir danken Ihnen für dieses Gespräch und sind gespannt auf Ihren Vortrag.

 

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